Neuendorf fühlt sich noch heute fast so an, wie Elisabeth Büchsel
es zu Beginn des letzten Jahrhunderts malte. Es fehlen heut die Rookhüser und
die alten Frauen in den dunklen Alltagstrachten vor den Hütten. Aber da sind
noch die Wiesen hinter den Häusern, da sind noch die unbefestigten Graswege,
mit den ausgefahren Pferdewagenspuren und noch steht nicht um jedes Häuschen eines Neuendorfers Hecke oder Zaun, um Grenzen zu markieren, wie in den sich allerorten gleichenden Vorstadtsiedlungen.
Dieses Flair durch Ferienhäuser und Appartments wie in Binz
oder anderswo auf Rügen oder auf dem Darß zu zerstören, ist ein
unwiderbringlicher Verlust. Gerade, dass Neuendorf so aussieht, dass hier noch
die Hiddenseer Familiennamen auf den Klingelschildern stehen, dass man hier
noch Ferienzimmer bei dieser oder jener einheimischen Familie bezieht, all das
macht für mich diesen friedlichen Ort aus. Hierher zieht es, wer Ausruhen will
davon, dass anderswo das Ursprüngliche bereits verschwunden ist, ja förmlich
zum Wegzug genötigt wurde. Heute muss man nicht mehr machtvoll und gewaltsdam
abreißen, heute treibt man Mieten und Grundstück- und Quadratmeterpreise hoch
und höher, so dass Einheimische ganz von allein das Feld räumen für Investoren, für
Geldanleger, für Immobilienmakler, alles für kurzfristige Gewinne und vor allem
hier in MV für das Totschlagargument Tourismusbranche. Früher hatten wir
Fischer, Bootsbauer, Fischereierzeugnisse und Schiffbau, heute haben wir
Lachsfischbrötchen und Matjeshering als Souvenier im Fässchen,
Ausflusgzeesboote, Zimmermädchen und Wellnessfachwirte, Hoteliers und Museen in
denen die alten Traditionen ausgestellt werden.
Unsere typischen Regionen werden heute auf Tourismusmessen
vermarktet, obwohl es die alten Fischerkaten und -boote gar nicht mehr gibt. Und
selbst der industrielle Schiffbau im Nordosten Deutschlands singt nach über 20
Jahren hartem Marktkampf seine letzten Messen. Heute oder spätestens morgen
sind die ursprünglichen Orte, die wir noch bewerben und die an manchen ausgewählten
Standorten noch huldvoll konserviert werden zum Anschauen für Touristen,
Ansammlungen voll Ferienwohnungen und Wochenendhäuschen. Einst durch Einwohner
bewohnt, zukünftig durch Eigentümer verwaltet und zum Gelderwerb ausgequetscht.
Echte, lebendige Gesichter verlieren zugunsten hübsch-glatter Urlaubsortfassaden. Endgültiges und weit bekanntes Beispiel: Prenzlauer Berg. Derzeit
in dieser Entwicklung begriffenes Beispiel: die Stralsunder Altstadt. Zukünftiges "Opfer": Neuendorf? Ich unterschreibe diese Petition, weil ich Neuendorf, ja ganz Hiddensee,
unterstützen und mahnen möchte für das eigene, innerste Angesicht
einzustehen und es zu bewahren und nicht für schnelle Gewinne zu verschleudern. Und
um jene, die es genau wegen dieses Gesichtes auf dieses kleine Eiland zieht,
zu mahnen, nicht mit dem Druckmittel des Gewinnes von außen auf Hiddensee einzuwirken. Dies ist keine Übertreibung. Man schaue sich doch all die
urlaubsparadiesverbauten Rügener Orte an, deren ehemalige Ursprünglichkeit die
Reisenden und nachfolgend die Investoren überhaupt erst anzog. Sellin, Göhren,
Glowe, Binz, bald auch Altefähr und viele andere und alle Gemeinden wünschen
sich nichts mehr als ein Stückchen abzubekommen vom Tourismus(puste)kuchen.
Freuen wir uns, bald ist alles hübsch sauber und glatt
saniert und bald findet der Gast der Rügen suchte, ein Urlaubsparadies zum Wiedererkennen
wie auf Mallorca, Zypern, Sylt oder sonst wo. Sind wir dann zufrieden?
Geht doch besonnen mit euren Paradiesen um, so sie noch
erhalten sind. Die Zukunftssorgen um Neuendorf auf Hiddensee, die in dieser
Petition angemahnt werden und vor denen Neuendorf auch durch seine Freunde von
Außen bewahrt werden soll, sind nur die Spitze vom Eisberg eines
Wandlungsprozesses für eine Region Europas, der nicht umzukehren ist. Ein Prozess, der an den
Einheimischen vorbei entwickelt wird. Denn die großen Gewinne dieser Region gelangen
höchst selten den Menschen von hier zum Wohle.
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