| Oktober 2012 | Hiddensee soll kein zweites Sylt werden


Mein Petitionskommentar zum Grundstücksstreit zwischen Neuendorf/Hiddensee und Stralsund, der auf Grund der maximalen Zeichenzahl dort nicht vollständig Platz findet:


Neuendorf fühlt sich noch heute fast so an, wie Elisabeth Büchsel es zu Beginn des letzten Jahrhunderts malte. Es fehlen heut die Rookhüser und die alten Frauen in den dunklen Alltagstrachten vor den Hütten. Aber da sind noch die Wiesen hinter den Häusern, da sind noch die unbefestigten Graswege, mit den ausgefahren Pferdewagenspuren und noch steht nicht um jedes Häuschen eines Neuendorfers Hecke oder Zaun, um Grenzen zu markieren, wie in den sich allerorten gleichenden Vorstadtsiedlungen.
Dieses Flair durch Ferienhäuser und Appartments wie in Binz oder anderswo auf Rügen oder auf dem Darß zu zerstören, ist ein unwiderbringlicher Verlust. Gerade, dass Neuendorf so aussieht, dass hier noch die Hiddenseer Familiennamen auf den Klingelschildern stehen, dass man hier noch Ferienzimmer bei dieser oder jener einheimischen Familie bezieht, all das macht für mich diesen friedlichen Ort aus. Hierher zieht es, wer Ausruhen will davon, dass anderswo das Ursprüngliche bereits verschwunden ist, ja förmlich zum Wegzug genötigt wurde. Heute muss man nicht mehr machtvoll und gewaltsdam abreißen, heute treibt man Mieten und Grundstück- und Quadratmeterpreise hoch und höher, so dass Einheimische ganz von allein das Feld räumen für Investoren, für Geldanleger, für Immobilienmakler, alles für kurzfristige Gewinne und vor allem hier in MV für das Totschlagargument Tourismusbranche. Früher hatten wir Fischer, Bootsbauer, Fischereierzeugnisse und Schiffbau, heute haben wir Lachsfischbrötchen und Matjeshering als Souvenier im Fässchen, Ausflusgzeesboote, Zimmermädchen und Wellnessfachwirte, Hoteliers und Museen in denen die alten Traditionen ausgestellt werden.
Unsere typischen Regionen werden heute auf Tourismusmessen vermarktet, obwohl es die alten Fischerkaten und -boote gar nicht mehr gibt. Und selbst der industrielle Schiffbau im Nordosten Deutschlands singt nach über 20 Jahren hartem Marktkampf seine letzten Messen. Heute oder spätestens morgen sind die ursprünglichen Orte, die wir noch bewerben und die an manchen ausgewählten Standorten noch huldvoll konserviert werden zum Anschauen für Touristen, Ansammlungen voll Ferienwohnungen und Wochenendhäuschen. Einst durch Einwohner bewohnt, zukünftig durch Eigentümer verwaltet und zum Gelderwerb ausgequetscht. Echte, lebendige Gesichter verlieren zugunsten hübsch-glatter Urlaubsortfassaden. Endgültiges und weit bekanntes Beispiel: Prenzlauer Berg. Derzeit in dieser Entwicklung begriffenes Beispiel: die Stralsunder Altstadt. Zukünftiges "Opfer": Neuendorf? Ich unterschreibe diese Petition, weil ich Neuendorf, ja ganz Hiddensee, unterstützen und mahnen möchte für das eigene, innerste Angesicht einzustehen und es zu bewahren und nicht für schnelle Gewinne zu verschleudern.  Und um jene, die es genau wegen dieses Gesichtes auf dieses kleine Eiland zieht, zu mahnen, nicht mit dem Druckmittel des Gewinnes von außen auf Hiddensee einzuwirken. Dies ist keine Übertreibung. Man schaue sich doch all die urlaubsparadiesverbauten Rügener Orte an, deren ehemalige Ursprünglichkeit die Reisenden und nachfolgend die Investoren überhaupt erst anzog. Sellin, Göhren, Glowe, Binz, bald auch Altefähr und viele andere und alle Gemeinden wünschen sich nichts mehr als ein Stückchen abzubekommen vom Tourismus(puste)kuchen.