| 1. Mai 2011 + 27. Januar 2013 | Greifswald

WEM nützt ES: 
Starre, unverrückbare Fronten und zerstörerische, todbringende Auseinandersetzungen



Heute (27. Januar 2013) ist der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus – Reden, Vorträge, Podiumsdiskussionen gegen das Vergessen, auch im Greifswalder Rathaus. Aber auch wenn gegen das Vergessen mit Hilfe aller medialer Mittel fleißig und erfolgreich angegangen wird, wann und wo werden Wissenschaftlern Möglichkeiten gegeben (von Wissenschaftlern frei eingefordert), uninstrumentalisiert die tatsächlichen Gründe und Vorgänge diesem nicht selten als schlimmstes menschliches Verbrechen der Geschichte eingeordneten Verwirrspiel, das der ganzen Welt neue Strukturen und Denkmuster aufgab und neue Fronten schuf bis heute, die Wahrheiten zu entreißen – Wahrheiten die alle zu Opfern und zu Tätern machen könnten.


Der 1. Mai vor zwei Jahren (2011) war der regionalen NPD Anlass genug unter megaphongeführter Leitung ihres Landtagsabgeordneten Udo Pastörs in Greifswalds Südstraßen kund zu geben, was sie von der ab 1. Mai 2011 gültigen Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa halten und dadurch für den hiesigen Arbeitsmarkt befürchten.
Linke (und) Studenten bereiteten sich ebenfalls mit genügend Sitzfleisch darauf vor, indem Sie den sowieso zu diesem langfristig angekündigten Kundgebung abbestellten Polizeitruppen TRAGENDE Aufgaben bescherten. Sinnfälligkeit dieser Aktion von zwei Fronten und der dazwischen bepanzert wachenden Polizei, wurde wenig deutlich an diesem Nachmittag. Es schien nur so, dass die NPD-Jungs beweisen konnten, dass Sie bei vorsommerlich warmen Temperaturen gut auch stundenlang in Reih und Ordnung stehen können, um höflich und diszipliniert abzuwarten, bis ihnen Linke den Weg FREI-Geben oder die Polizei ihn FREI-Tragen würde.
Den linkspositionierten Greifswalder Studenten und Einwohnern kam das sonnige Wetter sehr entgegen bei ihrem entspannten SittingIn auf Schönwalder Straßen, so dass per Mobilphon gar weitere Bekannte von den Vorzügen dieses sonnig-entspannten Studententreffens und der guten Stimmung überzeugt wurden. Der entspannte sonntägliche Grillabend zum Tag der Arbeit im Anschluss wird sicher auch bei so einigen noch schnell organisiert worden sein. 

Zwischen halb zugekniffenen Augen hätte man sich in der lauen Frühlingsknospen-Luft fast vorstellen können, dass die Polizisten bestens ausgerüstet, wie sie zum Termin erschienen waren, aus ihren vielzähligen blausilbernen und grünweißen Einsatzwagen aus Vorpommern, Mecklenburg, gar aus Dresden und Berlin ein Duzend Grilltische hervorzaubern und beide argumentbeladenen Gruppen junger Leute in der Mitte zum entspannten Gespräch laden. 


Die DeEskalierung wäre um ein Kapitel erweitert, dem unschuldigen Frühlingswetter entsprochen und die unangenehm lauten Megaphone unnötig (ge)worden. 

Weit angenehmer für Polizei und Anwohner war dieses entspannte Frühlingsaufmärschlein allemal, denkt man an die Zusammentreffen von Links und Rechts in Berlin in vielen Jahren. 

Jetzt, Ende Januar, ist die Februarmitte nicht mehr in weiter Ferne, ein Zeitpunkt der für rechte und linke MV-Jungs und Mädels möglicherweise nicht so großen Handlungsbedarf haben dürfte. Doch für Dresden ist dies alle Jahre (un)Gedenk(würdiger) Tag. 68 Jahre zuvor hatten alliierte Truppen die Kultur- und Architektur-reizvolle Stadt voller Zivilisten versucht zur Gänze zu zerstören und dabei in einem Flameninferno wohl bis zu 25.000 Menschen getötet. Im Krieg sterben Menschen, und Kulturzeichen eines Feindes zu zerstören oder zu rauben, ist von Alters her gebräuchliche Kriegspraxis. Statt sich also zu konstruktiven Gesprächen gegen den Krieg zu treffen, Lösungen zu finden, wie (alle) Menschen sich friedlich diesen Planeten teilen könnten und ob bei Kriegen wirklich immer unverrückbare ideelle Feindbilder die Ursachen sind oder man nicht lieber fragen sollte, wem nützt diese oder jene Auseinandersetzung, Zerstörung und Vernichtung von Menschen, geschieht Dresden nicht in wenigen Jahren ein Aufruhr von jungen rechten und linken Positionen, der in seinen heftigen Abläufen auch schon an Krieg erinnert hat. Fordern die einen stur ihr Recht ein, den sinnlosen und zivilen Toten dieser Bombennächte zu gedenken, fordern die anderen den Rechtsstaat aufgebracht auf, NPD-folgenden Menschen das Recht auf Meinungsäußerung und ihre, die Gemüter an andere Aufmarschzeiten zu sehr erinnernde und beleidigende, disziplinierte Megaphon-Kundgebungen zu unterbinden. 

Bleibt abzuwarten, was dieser Februar auf und zwischen beiden Fronten (immer in der Mitte die kostspieligen polizeilichen Dienststunden, um Frieden und Sicherheit aufrechtzuerhalten) bringen wird. Die Blaue Fabrik in Dresden, Kunstverein in der Dresdner Neustadt seit 20 Jahren, jedenfalls lädt gerade für diesen Monat den Stralsunder Fotografen Jens Frank ein, diesem Konfliktherd und den Veranstaltungen unter dem Motto „Dresden bekennt Farbe“ mit britischen Gästen und unter Beteiligung von Kirche, Jüdischer Gemeinde, Wissenschaft, Politik und Bürgern noch einen weiteren scheinbar unlösbaren, unversöhnlichen Konflikt dokumentarisch hinzuzufügen – seine menschlichen Soldatenbilder aus dem Gazakrieg 2008/2009: UNI-FORMEN konfrontiert mit der Frage-Antwort „wie lange immer ist“.

Text: Jens Frank

| Oktober 2012 + Januar 2013 | Straßenbau auf Rügen | B 96n


| 11. November 2013 | Don Giovanni II












| 11. November 2013 | Don Giovanni I









| April 2012 | Mit Sarah am Strand von Mukran


Sarah gezeichnet, während sie Strand und Meer zeichnete

| 17. November 2012 | Die Weber | Deutsches Theater Berlin


Gerhard Hauptmann ‹Die Weber› am Deutschen Theater, Berlin



Mitte November spielte das Deutsche Theater in Berlin Gerhart Hauptmanns ‹Weber›, während das Theater Vorpommern sich in ihrer ‹Kein Risiko›-Spielzeit hinter Märchen, Operetten und Kriminalkomödien versteckt. Ob die Weberverzweiflung unseren Schiffbauern heute aufhelfen könnte? Ein Werftaufstand, kanns den überhaupt geben? Oder ist in den ‹Hütten› nicht Verfall, Elend und Dürftigkeit, nicht der Menschheit ganzer Jammer genug, wie es Hauptmann einst über der Weber Hütten schrieb?


| 12. Januar 2013 | Ausstellung Günther Haußmann | Marstall in Putbus




Skizzen in der Skulpturenausstellung von Günther Haußmann. siehe auch › HIER

| 3.Dezember 2012 | Zur Stralsunder Werft | Mein Kommentar



Die Werft stirbt und nun soll Gott helfen, denn wir kriegens allein nicht hin


‹Arbeit, Zukunft, Leben. Stralsund ohne Werft?› oder ‹Gott, schenke echte Solidarität, die sich nicht in leeren Worten erschöpft›

So lauten einige der vielen stummen Bitten auf kleinen Zetteln an der Gebetsmauer aus Pappe in St. Marien in Stralsund. Ansonsten schweigende Gesichter, ohne Wut. Still nimmt der Pommer hin, genauso wie man es ihm nachsagt. Da kann seine Werft kaputt gemacht werden, und er ist nicht aus seiner Ruhe zu bringen.

Mitte November spielte das Deutsche Theater in Berlin Gerhart Hauptmanns ‹Weber›, während das Theater Vorpommern sich in ihrer ‹Kein Risiko›-Spielzeit hinter Märchen, Operetten und Kriminalkomödien versteckt. Ob die Weberverzweiflung unseren Schiffbauern heute aufhelfen könnte? Ein Werftaufstand, kanns den überhaupt geben? Oder ist in den ‹Hütten› nicht Verfall, Elend und Dürftigkeit, nicht der Menschheit ganzer Jammer genug, wie es Hauptmann einst über der Weber Hütten schrieb?

Den Gesichtern der knapp 400 Arbeiter mit ihren Familien, die zum Friedensgebet in die Marienkirche kamen, war anzusehen, dass sie nicht oft diese ‹große Halle› betreten, manche vielleicht zum ersten Mal. Gemeinde, Schiffbauer und Gewerkschafter hatten nun schon zum dritten Montagsgebet eingeladen, seit die Geschicke der Werft in den Händen von Insolvenzverwaltern, Politikern, Investoren und Schnäppchenjägern liegen, seit die Werftler nicht mehr durch ihr KnowHow, ihre Erfahrung, durch Fleiß und Kraft die Geschicke mit beeinflussen können. Die meisten der gut 1500 Übriggebliebenen harren in der Auffanggesellschaft der Dinge, die da kommen oder versuchen das Schiff Stralsund beruflich, manche von ihnen gänzlich zu verlassen, aus dessen Nebelhörnern scheinbar nur noch ‹Tourist, Tourist› trötet. Da saßen sie nun still, fast schweigend, brummten ungeübt zur großen alten Orgel ein ‹Herr, gib uns deinen Frieden›.

In den Reihen der Kirchenbänke kein Murren, kein lautes Zustimmen. Es war zu spüren, der andächtige Raum flößte den weltlichen Rednern Respekt und Unbehagen ein und so hörte man Worte ohne Kraft und ohne viel Inhalt. Nur Pastor Christoph Lehnert kritisierte, dass von den Ministern und den Verantwortlichen nichts zu hören ist, keine Erklärung, keine Entschuldigung, kein Trost.

An der Zettelwand steht: ‹Herr Bürgermeister, ich habe Sie vermisst.› Er hat wohl alle Hände voll zu tun mit der Rückabwicklung der übriggebliebenen Bücher aus der Gymnasialbibliothek. Können die leblosen Buchrücken und ihre Seiten nicht auch morgen gerettet werden, wenn doch heute für arbeitende Menschen einzustehen ist? Stralsund ohne Werft? Ist das Werftgelände schon begehrt für Hotels und Wohnungen? Unverbaubares Wassergrundstück mit Metallschrott auf dem in Zukunft neue Geschäftsleute Hafencharme an Touristen vermarkten und Altersruhesitze verkaufen. Sind die Werftarbeiter Kraft ihrer täglichen Arbeit selbst Schuld daran, dass zuletzt auch die kleinen und großen Pötte auf See dem Ruf nach Fernost folgen, wie längst schon die allermeisten Produkte, die billig von dort zu uns kommen. 22 Jahre gab es jährliche kleine und große Krisen, wurde entlassen und auf Zeit wieder eingestellt, auf Lohn verzichtet, Überstunden gemacht, demonstrierten Männer am Werfttor, wurde Hoffnung geschwafelt, gaben sich Werfteigner und Geschäftsführer die Klinke in die Hand. Zuletzt sollten die Schiffbauer eigenes Kapital zur Rettung beisteuern, während die Entscheider die wirkliche Wirtschaftslage verschleppten, Politiker die Augen verschlossen, Gewerkschafter nun kraftlose Worte sprechen und Schiffbauer stumm in Kirchenbänken hocken. Wen wundert es? Sind die Schiffbauer müde geworden?

 Einst waren es Werftarbeiter, die einen Aufbruch begannen. Das war in Polen. Und während Stralsund noch immer Schiffbau durch viele Poren atmet, liegen halbfertige Schiffe im Trockendock. Was braucht da eine Werft, was braucht da eine Stadt? Männer, denen Kraft und Entschlossenheit noch ins Gesicht geschrieben steht, die nach 30 oder 40 Jahren Schiffbau aussehen, die aber jetzt wie gelähmt dasitzen und abwarten, bis die gierige Finanzschlange alles vertilgt hat. Keiner poltert, keiner hat Ideen, keiner traut sich, im Anschluss an den Gottesdienst nach Antworten verlangend durch die weihnachtliche Stadt vor das Rathaus zu ziehen. (Wie einst die Weber). Warum drängen sich statt vierhundert nicht vier- oder vierzigtausend Leute in der Kirche, wenn es doch um eine ganze Region geht.

Wie viel Wirtschaftskrise ist notwendig, um einen Pommern aus seiner Ruhe zu bringen?


Text: Annett Geldschläger  |  Foto: Jens Frank