| 05. März 2014 | Sie wollen den Krieg ...


27. Januar 2014 | erstellt mit SketchBook (R) Pro, 3 Ebenen | Originalgröße 2560 x 2560 Pixel

[Er] sah die schlichten Bilder alltäglichen Lebens und war von ihnen ergriffen wie von einer einfältigen Melodie am Abend eines gramschweren Tags ... und er dachte zurück an die Tage, da er die Glücksgewalt stillen Tuns als menschliche Allmacht gefühlt: an die Tage der Wandlung im Malmen des Kriegs, und plötzlich würgte ihn die Angst. Er dachte an die Panzer vor den Toren; er sah sie sich rütteln, er hörte sie malmen, er fühlte den heißen Hauch ihrer BRÜLLENDEN Mäuler , er sah sie DRÖHNEND HEREINBRECHEN ins Mühn der Menschen, und da wußte [er] erschauernd: SIE WOLLEN DEN KRIEG ... Die Machthaber wollten den Krieg; sein Drachenglutschnauben durchloderte nicht nur ihr Denken und Fühlen, ihr Wüten war nicht nur barbarischer Rausch einer Hordenverzückung, nicht nur Freude am Urlaut der KNALLENDEN Stiefel und heiser sich grölenden KEHLEN allein; sie fanden Genüge nicht mehr mit dem UMFÄLSCHEN ihrer Niederlage in Siege, sie wollten mehr, sie gingen AUFS GANZE, sie wollten WIEDER DER WELT AN DIE KEHLE, die Sedemunds wollten wieder den Krieg! Darum die Vernichtung der Wahrheit, der Kunst und des Rechtes ... darum das wütige Brechen jeder noblen Gesinnung. 

... das einzige noch glimmende Fünkchen des Glaubens erlosch in seiner Brust. Er hatte die letzte Drehung der Garrotte erfahren ... den Rest seines Menschtums selbst zerstören ... und es war dann wohl besser, es ging zurgunde und fuhr in die Grube, statt Lüge und Schlachtrausch und Blutdurst von einem Geschlecht zum andern zu schleppen. Von Urzeiten her war´s vererbt über Väter und Väter, der Großvater gabs dem Vater, der Vater dem Sohn, der Sohn dem Herzen der heute noch Ungeborenen, und keiner hatte die Macht, die Zeit anzuhalten, daß ein Ursprung sei für neuen Beginn! ... Oder keimt doch noch ein neues Geschlecht? Vollzog sich das Wandeln ... einst doch an den Kindern, die fröhlich heut spielten? Laß fahren dein Hoffen! [Er] war zusammengesunken ... [er] hatte den Mantel übers Gesicht gezogen, er wollte nichts sehen. Tiefe Dunkelheit, tiefe Wasser , tiefe Ruh, nun war es geschehen. Garrotte, Garrotte, so starb ein Volk. Verhüll dein Gesicht! Vielleicht - ach, zu spät.

Garrotte, Garrotte, ringsum die Natur, der ganze Wald einz´ge Garrotte und Fraß, alles Fraß, alles Würgen und Schlingen, und der alte ... hatte vom Frieden geträumt und von der Brüderlichkeit der Menschen, da noch der Brudergeist schon den Bäumen entschwunden war. Steine lagen in Frieden nebeneinander und duldeten neidlos des andern Nähe und Gegenwart, doch schon die Bäume hatte einander am Nacken wie die Tiere einander an der Kehle, und droben im oberen Reich die Götter wieherten donnernd wie Hengste, Böses zu schaffen - geh heim, Alter ... leg dich nieder, dein weg hat dich abgeschüttelt, nun bleibt dir noch eins in Ehren, laß das Träumen und Klagen und gib dich drein. ... seine Augen spähten ruhelos wie immer , und plötzlich sahn sie ein seltsames Bild. ... sprang brüllend die Rotte, und aus dem Farn ... die Leiber der Kämpfenden knäulten sich wild ineinander ... Es waren keinen Soldaten; es waren uniformierte Kinder ... und schleuderten die irdenen Granaten einander in die brüllenden, vom Eifer des Kriegsspiels verzerrten Gesichter, und da, in diesem Augenblick der Schändung, empfand [er] die altvertraute Schönheit des waldes. ...das war [sein] Dom, und nun wurde der Engel der Stille geraubt und hinausgeschleift an der Kette der schrillenden Schreie, von Mördern wurde der Engel geschändet, und [er], was tat er ...? entfloh. Er griff nicht zur Pistole? ... es waren Kinder, und [er] floh. ... bis er ... unvermutet auf einen Lauschenden stieß. ... er musterte weiterschreitend ... des Knaben Gesicht und sah überrascht, daß es arglos und gut war, das gute helle Geschicht eines zehnjährigen Kindes, ein Gesicht ohne Arg ... und da [er] es sah, wußte er endlich, was nun seines Amts war ... [er] schritt rasch ... fast vorwärts drückend ... [Er] wußte jäh, er hatte zu tun. ... er hetzte jetzt hin mit keuchender Lunge  ... vorm Ende seines Weges noch einmal ein neues Beginnen ... so wußte er jetzt, nach dem Blick in das gute Gesicht des Kindes, daß weiterzuarbeiten seine Pflicht war. Er mußte .. war es nicht das wichtigste, daß seine Hölzer zur Stelle waren, wenn sie gebraucht wurden ... Nein, sein Tun war nicht sinnlos, sein Weg trug ihn weiter ... die Arbeit wartete, UND KEIN ANDERER KONNTE SIE TUN! 
aus: Franz Fühmann: Barlach in Güstrow, Reclam 3. Aufl. 1983, original 1968, S. 56 - 62.